Die Zeltstadt in Aarau

02.10.2016

Aarau, Rohrerstrasse, zu Fuss zwei Minuten zum Bahnhof. In einem Hinterhof stehen Militärzelte, für die Passanten hinter einer Mauer versteckt. Nur der Lärm der Strasse wird von der Mauer nicht abgehalten. Hier wohnen Asylsuchende. Die sanitären Anlagen erinnern an ein Festival am letzten Tag, nur dass die Menschen in den Zelten nicht nach einem Wochenende wieder abreisen können.
Einige der Asylsuchenden, Afghanen, sind vor zwei Monaten aus der GOPS (unterirdische Unterkunft) Laufenburg in dieses Zeltdorf verlegt worden. Mit dem Versprechen, jetzt oberirdisch untergebracht zu werden. Der Lärm der Strasse, die Feuchtigkeit in den Zelten, die Militärbette wurden ihnen nicht versprochen.
Ich selbst habe mit diesen Leuten in Laufenburg viel Spass gehabt. Wir haben leidenschaftlich Uno oder Schach gespielt, ein Gartenprojekt ist entstanden, Deutschkurse wurden freiwillig organisiert, die Bevölkerung Laufenburgs hat die Asylsuchenden der GOP akzeptiert, nicht nur das, sie hat sogar regen Kontakt aufgenommen. Das ist keine Bilderbuchgeschichte der Integration. Das ist, was passiert, wenn viele Asylsuchende kommen, die sich integrieren wollen und viele Freiwillige dieses Bestreben unterstützen.
Im Juli dann die Nachricht des Kantons: in einer Woche werden die ersten Asylsuchenden verlegt. Die erste Begründung der Behörden: die Asylsuchenden haben ein Recht auf oberirdische Unterkunft, falls es die Möglichkeit dazu gibt. Die Asylsuchenden erfahren einer nach dem andern, dass die meisten in die noch grössere GOPS nach Aarau (wo bis zu 300 Leute untergebracht werden), in die GOPS nach Baden, in Zelte gebracht werden. Wir beschweren uns, es war schlichtweg eine Lüge, dieses „Recht“ als Grund aufzuführen. Die Antwort der Behörden, welche folgt, ist erschreckend: die Mittel fehlen, die Unterkunft in Laufenburg weiter zu betreiben. Das hört sich ökonomisch und effizient an, doch sehen wir uns die Situation der Asylsuchenden an, denen eine ausgezeichnete Möglichkeit auf Integration, von der unsere ganze Gesellschaft profitieren wird, gestohlen wird, das macht einen solchen Entscheid verantwortungslos. Die Asylsuchenden befinden sich jetzt in unterbetreuten, überbelegten Unterkünften, die eine von AsylgegnerInnen heraufbeschworene „Ghettoisierung“ begünstigen. Doch es sind diese AsylgegnerInnen und AbbaupolitikerInnen, die lieber Asylsuchende dazu zwingen, ihre neue Heimat in Laufenburg aufzugeben, als dass sie ein paar Franken mehr für eine verantwortungsvolle Asylpolitik sprechen.
All dies ist nicht überraschend, betrachtet man die Stossrichtung der bürgerlichen Abbaupolitik. Den Instrumentalunterricht kostenpflichtig machen, um die Steuern noch ein bisschen zu senken. Den gestalterischen Vorkurs abschaffen, um sich bei den grossen GeldgeberInnen noch ein bisschen beliebter zu machen. Prämienverbilligungen verunmöglichen, um dem Druck der Unternehmen nicht ausgesetzt zu sein. All diese Abbaumassnahmen sind im isolierten Kontext gesehen ohne grosse Auswirkung, doch das Beispiel der Asylsuchenden zeigt, dass es noch immer Menschen sind, die daran leiden. Menschen, die ihrem Kind keinen Instrumentalunterricht ermöglichen können. Menschen, die an teuren Prämien leiden. Menschen, denen die neue Heimat genommen wird. Das alles passiert hier, im reichen Kanton Aargau. Es ist an der Zeit, diese Politik des Abbaus und der damit einhergehenden Ungerechtigkeit zu beenden, denn die Integration von Asylsuchenden ist zwar eine Hürde, doch eine die wir leicht überspringen können, wenn wir es denn wollen.
Glücklicherweise müssen die Asylsuchenden in der Zeltstadt an der Rohrerstrasse nicht mehr lange ausharren, denn im Winter darf diese Art von Unterkünften nicht betrieben werden. Dann werden sie schon wieder an einen neuen Ort gebracht, der im Sinne des Parlaments wohl noch weniger kosten sollte.