Stimmrechtsalter 16

05.05.2019

Am 15.03 diskutierten Klimastreikende und Klimaskeptiker in der SRF Arena über den Klimawandel, dessen Auslöser und die Auswirkungen. Politikerinnen und Politiker standen in der ersten Reihe und beanspruchten die meiste Redezeit, während die klimastreikenden Jugendlichen auf die Plätze im Hintergrund gesetzt worden waren. In der Woche vor der Sendung fanden weltweite Proteste, Aktionen und Streiks von Jugendlichen und jungen Erwachsenen statt, die um ihre Zukunft bangen und nicht länger untätig zuschauen wollen, wie die Klimaerwärmung den Planeten zerstört. Den jungen Menschen ist die Wut über die Untätigkeit der Politik anzumerken, in der viele der Klimastreikenden aufgrund ihres Alters nicht einbezogen werden. Ob die Mehrheit der jungen Demonstrant*innen kein Stimm-und Wahlrecht haben, ist unklar. Es ist jedoch unbestritten, dass es hauptsächlich junge Erwachsene und Jugendliche sind, die in den letzten Monaten auf den Schweizer Strassen sind.

Politische Reife und Verantwortung

Im Schweizer Nationalrat ist die Gruppe von 18-29-Jährigen mit den über 70-Jährigen zusammen die am schlechtesten vertretene Altersgruppe[1]. Im Vergleich zu diesen beiden schlecht vertretenen Altersgruppen, sind alle Menschen unter 18 Jahren nicht nur untervertreten im schweizerischen Parlament, es wird ihnen gar verboten, an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen. Dies erscheint nur auf den ersten Blick logisch, denn in der Schweiz ist das Stimmrechtsalter an die Volljährigkeit, die mit 18 Jahren beginnt, gebunden. Ein Achtel der Schweizer Bevölkerung ist lediglich aufgrund des Alters von jeglichen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Natürlich ist die Teilhabe von Kindern an Wahlen und Abstimmungen wenig sinnvoll, bei jungen Erwachsenen im Alter zwischen 16-18 sind es Ausreden, die verhindern, dass sie nicht mitreden können. Die geläufige Argumentation für diesen (undemokratischen) Ausschluss sind Verantwortung und Reife der Jugendlichen, die in diesem Alter anscheinend noch nicht vorhanden sein sollen. Die Jugendlichen beweisen aber täglich das Gegenteil. Neben der oft erwähnten Berufswahl, der Steuererklärung oder der sexuellen Mündigkeit beweisen die Jugendlichen ihr Verantwortungsbewusstsein auch im Feld des Politischen: Auf der Strasse kämpfen sie jüngst intensiv und kompetent für das Klima und ihre Zukunft. Aber sie streiken auch darum, weil die offizielle Politik sie ignoriert und ihre Teilhabe ausschliesst.

Die Jugend ist bereit

Zur politischen Reife gehört natürlich nicht nur der Einsatz auf der Strasse, sondern ebenso ein Bewusstsein für Demokratie und ihre Institutionen, sowie die politische Kultur. Schulen vermitteln in der Regel zu wenig politisches Wissen, so dass es vielen Jugendliche und jungen Erwachsenen tatsächlich an faktischem Wissen fehlt. In der Klimabewegung gibt es aber etliche Beispiele die zeigen, dass sich Jugendliche dieses Wissen aneignen können. Am nationalen Treffen der Klimastreikbewegung etwa, organisiert durch die Jugendlichen selbst, diskutierten 200 junge Menschen aus der ganzen Schweiz mit einer konstruktiven Diskussionskultur, die man sich auch für den Nationalrat wünschen würde. Die Klimabewegung in der Schweiz setzt sich aus vielen regionalen Organisationskomitees zusammen, vergleichbar mit dem Schweizer Föderalismus. Auch Entscheide werden nach demokratischem Prinzip gefällt. Die Basisdemokratie, die die Jugendlichen der Klimastreikbewegung praktizieren, ist wahrscheinlich sogar noch direkter als die Direkte Demokratie der Schweiz. Selbstverständlich ist nicht jeder junge Mensch in der Klimastreikbewegung vertreten oder nimmt an der Entscheidungsfindung teil. Dies unterscheidet sich jedoch gar nicht so sehr von der Schweizer Stimmbevölkerung.

Stimmrecht ab 16 Jahren

Am 17. April hat die Junge BDP einen Vorstoss über ihre Mutterpartei im Grossen Rat eingereicht, der das aktive Stimmrecht mit 16 auf Anfrage, also dass sich 16-17-Jährige mit Schweizer Pass proaktiv ins Wahlregister eintragen müssen, fordert. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung schaffts aber auch neue Probleme. Entgegen der Behauptung der JBDP würde der Kanton Bern nämlich nicht direkt eine Vorreiterrolle einnehmen, sondern lediglich zum Kanton Glarus aufholen. Dieser hat 2007 auf Antrag der JUSO das aktive Stimmrecht 16 eingeführt und zwar nicht auf Anfrage. Das aktive Stimmrecht 16 auf Anfrage birgt zwei Problematiken. Zum einen löst es nichts am Problem, dass junge Menschen in der Schweiz auf politischer Ebene fast gar nicht vertreten sind (=passives Stimmrecht) und zum anderen birgt das Stimmrecht auf Anfrage die Gefahr, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die keinen Zugang zur Politik haben, davon keine Kenntnis haben werden und so weiterhin kein aktives Stimmrecht erhalten.
Der Vorstoss der JBDP Kanton Bern ist lobenswert, dass er aber über die Mutterpartei eingereicht werden musste und auf deren Goodwill angewiesen war, zeigt, dass das Problem der politischen Teilhabe nicht durch einen einfachen Vorstoss zum aktiven Stimmrechtsalter ab 16 vollständig gelöst werden kann. Um die Teilhabe von jüngeren Menschen zu verbessern, muss über mehr politische Bildung und Repräsentation von jungen Menschen gesprochen werden und neben dem Stimm- und Wahlrecht ab 16 darf nicht vergessen werden, dass Menschen ohne Schweizer Pass vom passiven und aktiven Stimmrecht vollständig ausgeschlossen sind. Deshalb hat die JUSO Kanton Bern erst kürzlich zusammen mit den Jungen Grünen Kanton Bern eine Fake-Kandidatur für den Ständerat eingereicht, um auf die Ungerechtigkeit hinzuweisen, dass 16-17-Jährige und Menschen ohne Schweizer Pass nach wie vor von der politischen Teilhabe vollständig ausgeschlossen sind[2].
[1] Siehe https://www.parlament.ch/de/%C3%BCber-das-parlament/fakten-und-zahlen/zahlen-ratsmitglieder
[2] Siehe: https://juso-be.ch/2019/04/01/junge-gruene-und-juso-kanton-bern-nominieren-fuer-den-staenderat/
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