Selbstverantwortung ist das neue „Klimawandel gibt’s nicht“

Was ein paar Jugendliche mit einem Whatsapp-Chat erreicht haben, ist beeindruckend. Schon am zweiten Schweizer Klimastreik, am 21. Dezember des noch letzten Jahres, streikten in verschiedenen Städten mehrere Tausend Jugendliche für das Klima. Unterdessen ist die Bewegung stark gewachsen, auch international schliessen sich laufend Länder und Jugendliche an. So brachten die Klimastreikenden am 2. Februar schweizweit 70‘000 Menschen auf die Strassen, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Diese sind:

Ausrufung des nationalen Klimanotstandes, netto null Treibhausgas­emissionen bis 2030, Klimagerechtigkeit und, falls nötig, um diese Forderungen zu erfüllen, Systemwandel.

Gefordert wird also eine politische Lösung der Klimakrise. Trotzdem werden Klimastreikende immer wieder gefragt, was sie denn selbst für das Klima täten. Die Frage kann mensch schon beantworten, nur ist das nicht relevant. An einer Podiumsdiskussion der aargauer Klimastreik-Gruppe erwiderte SP-Nationalrat Cédric Wermuth auf die wiederholte Betonung von Selbstverantwortung, Selbstverantwortung sei schön und gut, aber er wolle das gar nicht. Er wolle nach einem langen Arbeitstag beim Einkaufen nicht die ganze Zeit überlegen müssen, welche Produkte klimaschädlich seien, er wolle, dass alle Lebensmittel nachhaltig produziert würden. So geht es den meisten Fehlbaren der Klimastreikbewegung. Sie möchten politische Massnahmen, die sie selbst einschränken werden. Selbstverantwortlich das Klima zu retten ist schlicht unnötig mühsam, wahrscheinlich sogar unmöglich.

Für alle, die jetzt finden, Bequemlichkeit sei nicht Grund genug, gibt es einen weiteren: Klimaschutz ist ein sogenanntes öffentliches Gut. Das sind Güter, die nicht rivalisierend konsumiert werden und bei denen es nicht möglich ist, einzelne Leute vom Konsum auszuschliessen. Das heisst erstens, dass, wenn ich Klimaschutz konsumiere, wenn ich zum Beispiel einen zusätzlichen Sommer ohne Dürre erlebe, du deswegen nicht weniger dürrefreien Sommer hast. Ein öffentliches Gut verbraucht sich durch meinen Konsum nicht, im Gegensatz zu anderen Gütern, wie zum Beispiel Kuchen. Und es heisst zweitens, dass es mir kaum möglich ist, dich vom Konsum dieses Sommers auszuschliessen. Beim Kuchen ist das wiederum einfach; ich gebe dir halt nichts davon, wenn du nicht bezahlst. Weil erst die Möglichkeit des Ausschlusses in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem Gewinne ermöglicht, versagt der Markt hier schlicht. Deshalb muss die Klimakrise gemeinschaftlich, das heisst politisch, gelöst werden.

Drittens und letztens ist aus Gründen der Klimagerechtigkeit Selbstverantwortung für die Klimakrise abzulehnen. Die kapitalistische Marktwirtschaft hat nicht nur zur Folge, dass sich Klimaschutz nicht rentiert, sondern sogar, dass Umweltausbeutung profitabel ist. Gerade mal 100 Unternehmen haben fast drei Viertel der globalen Treibhausgasemissionen zu verantworten. Auf Kosten der Umwelt werden riesige Gewinne eingefahren und die Schäden sollen von den Bürger*innen getragen werden, unter dem Deckmantel der Selbstverantwortung. Eine weitere Ablenkung ist das „grüne Wachstum“, die Ansicht, die Wirtschaft könne weiter wachsen und die Klimakrise gleichzeitig abgewendet werden. Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoss sind jedoch bis heute unweigerlich gekoppelt. Allzu bald dürfte sich das nicht ändern, und bei dem bisschen Zeit, das uns bleibt, sollten wir nicht darauf setzen. Denn wir haben viel zu verlieren.

Wir haben aber auch viel zu gewinnen. Wenn Systemwandel bedeutet, dass es nicht mehr profitabel sein wird, Umwelt und Menschen auszubeuten, wenn es bedeutet, neue Formen des Zusammenlebens zu erproben, solche wie die, die die Klimastreikenden heute schon vorleben, antihierarchisch und radikal demokratisch, dann sollten wir vielleicht hoffen, dass den Forderungen der Klimastreikbewegung im aktuellen System nicht nachgekommen werden kann.

Dieser Text erschien erstmals im April 2019 im infrarot, dem Magazin der JUSO Schweiz.)