Utopien, Mehrheiten und Durchhaltevermögen

Wars das etwa schon mit dem Klimastreik? Anfängliche Erfolge, im neuen Parlament ein paar zusätzliche klimafreundliche Prozente und jetzt gehen die Kinder endlich wieder zur Schule? Aus Rückblick wird Ausblick, und der offenbart etwas ganz anderes.

(Ich rede im Folgenden immer als Einzelperson und nie für den Klimastreik als Ganzes.)

Bald ein Jahr seit dem ersten Klimastreik in der Schweiz und es scheint Zeit für einen Rückblick:

Oft wird vergessen, dass auch diese Bewegung, die inzwischen alleine in der Schweiz viele Zehntausende Menschen bewegt, lange beharren musste, um endlich ernst genommen zu werden. Während der ersten zwei Monate wurden medial vor allem drei Fragen diskutiert, «Was ist denn jetzt mit den Absenzen?», «Wieso streiken die nicht samstags?» und «Die haben doch alle schon einmal ein Plastiksäckli benutzt, Wasser predigen und Wein trinken, jaja», statt sich inhaltlich mit den Forderungen des Klimastreiks auseinanderzusetzen:

Klimanotstand. Netto Null 2030. Klimagerechtigkeit. Systemwandel falls notwendig.

Damit sie an dieser Stelle wiederholt seien. Der Klimastreik liess sich aber nicht entmutigen, und das zahlte sich aus: Die FDP geriet in Panik, die SVP wusste nicht mehr, was mit sich anzufangen, differenzierte, dem wissenschaftlichen Konsens entsprechende Berichterstattung zur Klimakrise häufte sich. Der Rahmen des politisch Möglichen hat sich im letzten Jahr so schnell so stark verschoben, wie es sich niemand erträumt hätte: Städte und Kantone (international sogar Länder) rufen den Klimanotstand aus, Zürich setzt sich das Netto Null 2030-Ziel, der Bundesrat von sich aus das 2050-Ziel.

Doch auch wenn sich vieles getan hat: Es reicht noch lange nicht. Schöne Versprechungen vor den Wahlen genügen nicht, um die Welt vor einer Katastrophe zu bewahren, ebenso wenig wie naive Wirtschaftsgläubigkeit.

Wann führt die Dringlichkeit dieser Krise also endlich konkretes Handeln auf dem politischen Parkett herbei? Millionenschwere Demozahlen scheinen nicht genügend zu überzeugen. Trotzdem waren und sind unsere Demonstrationen wichtig. Sind vor allem auch unsere freitäglichen Streiks wichtig. Mit Ihnen hat unsere Bewegung ihren Anfang genommen. Im Versuch, den Rest der Welt aus ihrem Alltagstrott aufzurütteln, im Versuch zu sagen: “Hey, schaut mal auf, wir haben hier ein Problem von gewaltigem Ausmass. Und es verschwindet nicht von alleine.” Diese Aufrütteln haben wir geschafft, nun blockieren aber Überforderung, Ignoranz und Profitinteressen weiterhin jegliches ernstzunehmende Handeln. Es fragt sich, was es dazu braucht, diese zu überwinden.

Ich sage: Utopien, Mehrheiten und Durchhaltevermögen. Mehrheiten durchaus auch auf der Strasse. Eine Mehrheit der Menschen, die nicht länger dabei zusieht, wie Profite über Menschenleben gestellt werden und wie Menschen kriminalisiert werden, die das nicht in Ordnung finden.

Was es braucht, sind also Utopien, Mehrheiten, und Durchhaltevermögen. Und damit scheinen wir vom Rückblick zum Ausblick übergegangen zu sein. Er ist ein durchaus Vielversprechender.

Bild: Klimademo in Aarau, 6. April 2019

(Dieser Text erschien erstmals im Dezember 2019 im forum, dem Magazin der ffu FachFrauen Umwelt.)